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Hintergrund | | von Rochus Wolff

Queering the Highschool

Die Rollenbilder im gegenwärtigen Highschool-Film haben sich verändert

Jahrzehntelang war der Highschool-Film, ein Grundpfeiler des US-amerikanischer Jugendfilms, männlich geprägt, in seinen Rollenbildern sowie in seinem zunehmend sexistischer werdenden Humor. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Die neue, weiblich dominierte Highschool-Komödie bläst zum Angriff auf das heteronormative Patriarchat. Und wird dabei immer frecher und gelassener.

Filmstill aus Do Revenge
"Do Revenge" (c) Kim Simms, Netflix

Der US-amerikanische Highschool-Film hatte ab Ende der 1990er-Jahre noch einmal einen ganz und gar maskulinen Höhepunkt, das begann mit „American Pie“ (Paul Weitz, 1999) und „Eine wie keine“ (Robert Iscove, 1999), reichte dann aber schließlich bis hin zu „Superbad“ (Greg Mottola, 2007), in dem der vage neue Männerhumor aus dem Judd-Apatow-Dunstkreis noch ein wenig Wind brachte. Immer ging es entweder um junge Männer und ihre sexuellen Neurosen (inszeniert als Mangelerscheinung) oder um die Selbstfindung des jungen Mannes durch und mittels einer nicht so oberflächlichen Mitschülerin.

Das Muster war dabei schon zu dieser Zeit ziemlich abgedroschen. Über den Mythos vom wunderschönen Schwanenmädchen, das sich im Mädchen mit Brille und Pferdeschwanz versteckt, von dem „Eine wie keine“ noch lebte, machte sich dann kurz darauf „Nicht noch ein Teenie-Film!“ (Joel Gallen, 2001) – eh ein kleines Meisterwerk der Parodie – in einer ausufernd langen Sequenz so gründlich lustig, dass man diese spezifische Spielart des Highschool-Films gerne für tot erklärt hätte.

Zeit für einen Perspektivwechsel

Erst einmal aber gab es freilich noch einige Variationen auf die bekannten Themen, von „The New Guy“ (Ed Decter, 2002) über „The Girl Next Door“ (Luke Greenfield, 2004) bis hin zu den ganzen „American Pie“-Fortsetzungen, während gleichzeitig Gil Junger schon 1999 wusste, dass er Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ als Highschool-Komödie nicht anders als mit einer starken und feministischen weiblichen Hauptfigur erzählen konnte. Dass das Autorinnenteam Karen McCullah und Kirsten Smith das Buch zu „10 Dinge, die ich an Dir hasse“ schrieb, hat sicher auch geholfen.

Im Kino brechen längst überfällige Veränderungen ja gerne im Horrorkino am sichtbarsten hervor, und so wurde die Dominanz männlicher Blickweisen dann recht hübsch radikal in „Jennifer’s Body – Jungs nach ihrem Geschmack“ (Karyn Kusama, 2009) infrage gestellt. Kusama stellte sicher recht bewusst Megan Fox ins Zentrum ihres Films, spätestens seit „Transformers“ (Michael Bay, 2007) geradezu fetischisiertes Objekt des male gaze, hier frisst sie sich als femme im Wortsinn fatale nach und nach durch die männliche Schülerschaft ihrer Highschool. Und in „Assassination Nation“ (Sam Levinson, 2018) bewaffnen sich vier Schulfreundinnen gegen eine moderne Hexenjagd.

Die neue Highschool-Komödie: Feministisch und selbstbewusst

In den letzten Jahren allerdings sind sowohl Gelassenheit und selbstbewusst politischer Humor in der Highschool-Komödie deutlich sichtbarer geworden. Queere Geschichten hatten spätestens mit „Love, Simon“ (Greg Berlanti, 2017) schon mehr Aufmerksamkeit bekommen, aber „Booksmart“ (Olivia Wilde, 2019) riss eine ganz andere Mauer ein. In der Presse wurde der Film zwar immer gleich auf „Superbad“ Greg Mottola, 2007) bezogen, aber das trifft es dann doch nur bedingt. Die grundlegende Handlungsprämisse war ähnlich: Statt einer Gruppe Jungs sind es hier zwei Mädchen, die immerzu viel zu brav und fleißig waren und sich entschließen, an ihrem allerletzten Tag vor Vergabe der Abschlusszeugnisse mal so richtig aufs Exkrement zu schlagen – und Sex wäre eigentlich auch toll.

Was „Booksmart“ allerdings anders macht als all die „männlichen“ Komödien: Die Freundschaft zwischen Amy und Molly steht bei allem Durcheinander klar im Vordergrund, über Sex sprechen die beiden zwar mit wenig Ahnung und viel theoretischem Wissen (sie sind in jeder Hinsicht „booksmart“ und noch nicht lebenserfahren), aber nicht verklemmt oder als Leistungssport, sondern freundschaftlich, offen, neugierig, sich gegenseitig unterstützend. Amy ist lesbisch, Molly hetero, beide sind Feministinnen. In ihren Zimmern hängen Poster mit dem Bild von Ruth Bader Ginsburg, „gender performance“ geht ihnen locker von der Zunge.

Filmstill aus Booksmart
"Booksmart" (c) Weltkino

Zwei Jahre später geht es in „Moxie“ (2021, Amy Poehler) dann noch expliziter um Feminismus. An dieser Schule steht die (selbstverständlich männliche) Football-Mannschaft im Fokus allen Interesses – die Mannschaft kriegt ständig neue Trikots, der Quarterback alle Aufmerksamkeit – obwohl sie nie ein Spiel gewinnt, ganz im Gegensatz zum (selbstverständlich weiblichen) Fußball-Team. Weil sich dann Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit häuft, Sexismus auf Sexismus, startet die 16-jährige Vivian, ganz nach dem Vorbild von alten Heften, die ihre Mutter gemacht hat, heimlich das fotokopierte Zine „Moxie“. Voll mit Aufrufen zum Widerstand und zu weiblicher Solidarität, mit spezifischen Anschuldigungen und Forderungen. Und eh sich die schüchterne junge Frau versieht, ist sie mitten in einer kleinen Revolution, die sich um das anonym publizierte Magazin sammelt.

Indem sich Vivian die Inspiration zu ihrem Zine gewissermaßen aus dem Aktivismus der Zweiten Welle des Feminismus zieht, stellt „Moxie“ einen historischen Bogen her, der vergleichbaren Filmen fehlt – und ergreift zugleich die Chance, um zumindest en passant die Schwächen und blinden Stellen der „Second Wave“ zu thematisieren. Denn Vivian denkt selbstverständlich intersektional, zumindest eine antirassistische Haltung gehört für sie einfach dazu. Allerdings kämpft der Film ein wenig damit, gewichtige politische Themen und Herausforderungen mit den Mitteln der Komödie adäquat zu fassen zu bekommen: Der Bericht einer Schülerin von ihrer Vergewaltigung wird nur kurz angetippt, in der nächsten Szene wird der Täter schon aus dem Unterricht geholt. Ach, wäre doch im echten Leben alles so einfach.

Wie man es jedoch auch dreht und wendet: Der Highschool-Film kann nicht mehr so tun, als gebe es das Patriarchat nicht. Ganz im Gegenteil: Ein Film, der so tut, als sei die klassisch-stereotype Konstellation mit supermaskulinen „Jocks“ und superfemininen Cheerleadern unveränderliche oder gar wünschenswerte Notwendigkeit, wäre im 21. Jahrhundert aus der Zeit gefallen. Stattdessen wird das Patriarchat explizit thematisiert. Es wird nicht nebenbei aufgelöst, aber der begrenzte Rahmen der Highschool bietet ein Feld, in dem es zumindest für das befriedigende Ende eines Films, für einen kurzen Moment und kleinen Ort also, mal außer Kraft gesetzt werden kann. In „Moxie“ passiert dieser Angriff aus dem Selbstbewusstsein einer feministischen Haltung.

Filmstill aus Moxie
"Moxie" (c) Colleen Hayes, Netflix

Und wie wäre es mal mit unsympathischen Antiheldinnen?

Aber die Haltung muss gar nicht immer politisch „richtig“ sein. Was würde passieren, wenn die Protagonistinnen nicht mehr feministisch sind, sondern ganz und gar auf den eigenen Vorteil fixiert, egozentrisch und gelegentlich sogar unsympathisch?

„Do Revenge“ (Jennifer Kaytin Robinson, 2022) und „Bottoms“ (Emma Seligman, 2023) machen das auf sehr unterschiedliche Weise. „Do Revenge“ spielt an einer Schule, an der alle Schüler*innen geradezu absurd wohlhabend zu sein scheinen. Drea ist nur aufgrund eines Stipendiums dort, will aber die Chance ergreifen, die ihr ein guter Schulabschluss hier bieten würde. Mit pathologischem Eifer sorgt sie dafür, die beliebteste Schülerin ihres Jahrgangs zu sein und wähnt sich auf dem direkten Weg zu einem Studienplatz an einer Elite-Uni. Dann aber nimmt sie ein schlüpfriges Video für ihren Freund Max auf, das schnell seinen Weg in die Öffentlichkeit findet – da gehen Chancen und elitärer Freund*innenkreis dahin. Max gibt vor, unschuldig zu sein, aber Drea sinnt doch nach Rache. In Eleanor, die sie in einem Feriencamp kennenlernt, findet sie eine anscheinend Gleichgesinnte, die ihrerseits ein Hühnchen zu rupfen hat, seit sie gegen ihren Willen und mit einer erfundenen Geschichte geoutet worden sei. Frei nach „Der Fremde im Zug“ (Alfred Hitchcock, 1951) beziehungsweise Patricia Highsmith nehmen die beiden sich vor, des jeweils anderen Unglück zu rächen.

„Do Revenge“ wechselt für einen Highschool-Film überraschend oft die Richtung; zum dritten Akt werden noch einmal ganz andere Motivationen sichtbar, verschieben sich die Allianzen in einem ziemlich deutlichen Twist, an dessen Ende dann zumindest die Soziopathinnen auf so etwas ähnliches wie den rechten Weg finden; Max kommt nicht ganz ungeschoren davon.

Im vielleicht feministisch bemerkenswertesten Moment in „Do Revenge“ präsentiert sich der frisch alle Schuld am geleakten Video abstreitende Max als „Ally“, als Unterstützer aller Frauen; zusammen mit anderen Männern in Hemden und pastellfarbenen Sweatern kündigt er die Gründung der „CIS Hetero Men Championing Female Identifying Students League“ an. Das tut weh, weil hier auf einem wortwörtlichen Banner all die richtigen Begriffe des Third-Wave-Feminismus geschwenkt werden und zugleich Kontext und Sprecher deutlich machen, wie leicht sich diese für oberflächliche Lippenbekenntnisse zur eigenen Selbstdarstellung appropriieren lassen.

Max wird so als nicht weniger selbstbezogen und egoistisch präsentiert als letztlich auch Drea und Eleanor. Nur weiß er die Chiffren und Sprachfetzen des ihm eigentlich ins Gesicht pustenden politischen Zeitgeists sogar dann noch für sich zu nutzen, wenn ihm selbst (wie am Ende sonnenklar wird) Feminismus völlig pupsegal ist.

Libido statt Politik

Das kann man von den Möchtegern-„Alphamännchen“ in „Bottoms“ nicht behaupten. Die Highschool-Gesellschaftsstruktur in diesem Film, wir befinden uns irgendwo in der US-amerikanischen Provinz, ist zur Kenntlichkeit hypertrophiert: Die „Jocks“ laufen den ganzen Tag (auch in Unterricht und Freizeit) nur noch in Football-Klamotten herum, die Cheerleader sind Objekte des Begehrens – auch für die beiden Protagonistinnen PJ und Josie, die schon seit Schuljahren ihren Schwärmen Isabel und Brittany hinterherlechzen. Aber niemand kann sie leiden – nicht, weil sie lesbisch sind (ein gutaussehender Schwuler gehört zu den beliebtesten Schülern), sondern hässlich und untalentiert. Eher aus einem Missverständnis heraus bekommen sie den Ruf, über die Sommerferien im Gefängnis gewesen zu sein, und starten dann auch noch einen „Fight Club“ – unter dem Vorwand, so lerne man Selbstverteidigung, treffen sich zahlreiche Mädchen und junge Frauen der Schule und verprügeln sich in der Sporthalle gegenseitig.

Filmstill aus Bottoms
"Bottoms" (c) Brownstone Productions, MGM

„Bottoms“ ist übertrieben und zugespitzt, eine bizarre und sehr blutige Komödie mit zwei Protagonistinnen, deren Leben natürlich von feministischen Fortschritten der letzten sechzig Jahre grundiert ist, die aber selbst an politischer Veränderung viel weniger interessiert sind als an ihrer Libido. Und sogar die ist brav am traditionell als „male gaze“ beschriebenen Begehren entlang orientiert: Isabel und Brittany sind dünn, normschön, immerhin jedenfalls nicht nur weiß. Die Regisseurin Emma Seligman, die mit Rachel Sennott zusammen auch das Drehbuch geschrieben hat, positioniert ihren Film in einer teilidealisierten Welt, in der Rassismus und Antisemitismus nicht auch noch auftauchen: Das heteronormative Patriarchat ist schon kompliziert genug. Das ist dramaturgisch sinnvoll und immer noch eleganter als Rassismus einfach verschwinden lassen, wie dies sonst gerne passiert. (Auch das etwas, das „Nicht noch ein Teenie-Film!“ bereits thematisiert und parodiert hat.)

PJ und Josie sind jedenfalls nicht feministisch, sondern ganz und primär egozentrisch, horny natürlich, ganz normale Highschool-Teenager vor dem ersten Sex – und zugleich muss, darf man sagen: eben nicht ganz normal. Denn bis vor ein paar Jahren war diese offen diskutierte Horniness noch ein ganz und gar männliches Privileg.

Am Ende lernen alle emotional ein wenig dazu, vor allem aber wird die maskuline Kraftprotzerei „Football“ in einem spektakulären Selbstverteidigungsgemetzel ebenso lächerlich gemacht wie der popkulturell-pornografische Mythos vom Ananas-Saft, den man anschließend im Sperma schmecken könne. „Bottoms“ betreibt die Demontage des Patriarchats mit den Mitteln der Brachial-Komödie, indem er beweist, dass diese eben nicht unbedingt nur aus Sicht von Männern funktioniert. Wir brauchen mehr von diesen ugly, untalented gays.

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