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Lars ist LOL

Entdeckt in München: Amanda soll sich um ihren Mitschüler Lars kümmern und landet in einem inneren Konflikt zwischen Freundschaft und Gruppenzwang.

Schon mal im Film einen jungen Menschen mit Down-Syndrom gesehen, der anhaltend stinksauer ist? Wohl eher selten! Menschen mit Down Syndrom werden in Filmen zumeist von einer anhänglichen oder lustigen Seite gezeigt; zudem mit Sonderbegabungen in puncto soziale Kompetenz, wo sie nahezu unschlagbar sind. Gewiss geschieht es mit den besten Absichten, um sie als besonders liebenswert und sympathisch darzustellen. Doch ist das wirklich empathisch? Schließlich wollen und sollen Menschen mit Down Syndrom auch in ihrem individuellen Charakter, mit einer Vielfalt im Ausdruck und nicht etwa mit pauschalen, vereinfachenden Zuschreibungen dargestellt und erzählt werden. Der Kinderfilm „Lars ist LOL“ ist als Spielfilmdebüt des norwegischen Filmemachers Eirik Sæter Stordahl deshalb ziemlich besonders. Er zeigt auf unterhaltsame und unaufdringlich lehrreiche Weise, dass Anspruch und Realität selbst mit den besten Absichten weit auseinanderklaffen können. Und das kommt so:

Die Grundschülerin Amanda freut sich nach den Sommerferien schon auf den ersten Schultag. Denn es ist Tradition in der Schule, dass sich die fortgeschrittenen Jahrgänge um diejenigen kümmern, die zum ersten Mal in die Schule gehen. Die Lehrerin hat jedoch andere Pläne mit Amanda. Sie hält das Mädchen für besonders geeignet, sich um den neuen Mitschüler Lars zu kümmern, der eben das Down-Syndrom hat. Amanda befürchtet allerdings, dass Lars sie vor ihrem Klassenkameraden Adam blamieren könnte, in den sie sich verliebt hat. Zu ihrer eigenen Verwunderung entwickelt sich zwischen ihr und Lars eine echte Freundschaft. Denn schnell stellt sich heraus, dass beide Harry Potter-Fans mit Leib und Seele sind. Und so lassen sie ihrer Fantasie freien Lauf und zaubern mit einem Heidenspaß, was das Zeug hält. In der Schule selbst allerdings endet dieses unbekümmerte Spiel. Selbst ihrer besten Freundin Sari erzählt Amanda nichts von ihrer Freundschaft mit Lars und ihren gemeinsamen Spielen. Als ihre Mitschülerin Anna sie mit einem entlarvenden, für sie peinlichen Handyvideo erpresst und damit droht, es online zu stellen, lässt sich Amanda dazu hinreißen, sich offen gegen Lars zu stellen. Sie ist sogar bereit, sich an einem Blog zu beteiligen, in dem Lars als reine Witzfigur bloßgestellt wird. Der Blog bleibt natürlich auch Lars nicht verborgen, er fühlt sich von Amanda hintergangen und verraten und will auch nicht mehr in die Schule gehen. Vergeblich bemüht sich Amanda um Wiedergutmachung, nachdem sie ihren Fehler eingesehen hat. Doch Lars verweigert ihr jede Form von Kommunikation und Amanda wird zur leichten Außenseiterin in der Klasse. Einen letzten Versuch will sie noch wagen, um sich bei Lars zu entschuldigen. Doch dafür benötigt sie dringend die Hilfe seitens der ganzen Klasse einschließlich von Adam – und danach sieht es nicht gerade aus.

Entstanden ist der Film nach einer auch in Deutschland veröffentlichten Buchvorlage von Iben Akerlie, die von Kindern zum besten Kinderbuch Norwegens gewählt wurde. Das Drehbuch zum Film schrieben die Autorin und der Regisseur gemeinsam. Wie eingangs angedeutet, besticht der handwerklich sehr solide inszenierte Film vor allem durch seine differenzierte Figurenzeichnung. Amanda ist alles andere als das „böse Mädchen“, selbst die Rädelsführerin Anna ist nicht nur die arrogante Intrigantin und Lars ist ein intelligenter, sensibler Junge, dessen unvoreingenommenes Vertrauen stark enttäuscht wurde und der weitere Verletzungen konsequent vermeiden möchte. Nur an einigen Stellen schießt der Film etwas über sein Ziel hinaus. Es wäre für den Plot nicht unbedingt erforderlich gewesen, den Vater von Lars fast übermenschlich gut zu zeichnen, der seinem Sohn ein Wohnumfeld schafft, das nahe an der kitschigen Idylle liegt. Aufgefangen werden solche Überzeichnungen durch die beiden Hauptfiguren, deren Konflikte und widersprüchliche Gefühle wunderbar zum Ausdruck kommen. Beide verdienen uneingeschränkte Sympathie, selbst wenn sie Fehler machen oder Dinge falsch einschätzen.

Leicht verständlich und nachvollziehbar greift der Film zudem wichtige Themen auf, die zum einen Teil typisch für eine Coming-of-Age-Geschichte sind wie Freundschaften, erste Liebe und der nicht immer nur positive Einfluss von peer-groups. Darüber hinaus wagt er sich erfolgreich an „schwierigere“ Themen wie Vorurteile, Mobbing und Diskriminierung. Zugleich liefert er auch eine Vorbildfunktion: wie wichtig es ist, anderen verzeihen zu können, wenn diese sich aufrichtig entschuldigen. Und die Idee, dass ältere Kinder eine Art Patenschaft für die Erstklässler übernehmen und die Schule dafür entsprechende Rahmenbedingungen schafft, ist zwar alles andere als neu, verdient aber breitenwirksame Nachahmung.

In Deutschland wurde der Film zuerst auf dem Filmfest München gezeigt, wo er den „Cinekindl-Award“ erhielt. Weitere Festivals werden folgen und sicher auch bald ein deutscher Verleih.

Holger Twele

 

© Filmfest München/ Cinekindl
8+
Spielfilm

Lars er LOL - Norwegen 2023, Regie: Eirik Sæter Stordahl, Festivalstart: 01.07.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 85 Min., Buch: Iben Akerlie, Eirik Sæter Stordahl, nach dem Debütroman von Iben Akerlie, Kamera: Marius Matzow Gulbrandsen, Schnitt: Cathrine Ambuss, Musik: Benjamin de Murashkin, Produktion: Nordisc Film Production AS, Verleih: - / -, Besetzung: Lilly Winger Schmidt (Amanda), Adrian Øverjordet Vestnes (Lars), Norah Lulu Ali-Amoafo (Sari), Agnes Grønneberg Hagen (Anna), Ilias Bouyambib (Adam) u. a.

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