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Sara Mardini – Gegen den Strom

25 Jahre Haft, weil sie für die Menschenrechte von Geflüchteten kämpft? Sara gibt weder auf, noch lässt sie sich zum Schweigen bringen.

2015 fliehen die Schwestern Sara und Yusra Mardini vor dem Bürgerkrieg aus Damaskus nach Europa. Als auf dem Mittelmeer der Motor ihres Schlauchboots versagt, springen die Leistungsschwimmerinnen ins Wasser und ziehen das Boot stundenlang bis ans Ufer. Ihre mutige Tat im Mittelmeer machte weltweit nicht nur Schlagzeilen, sondern wurde auch von der walisisch-ägyptischen Regisseurin Sally El Hosaini in „Die Schwimmerinnen“ (2022) verfilmt. Und genau dort, wo der Spielfilm aufhört, setzt „Sara Mardini - Gegen den Strom“ (2022) an: nach der gefährlichen Flucht durch Europa, nach dem Ankommen in Berlin.

Sara Mardini ist die titelgebende Protagonistin in dem im Verité-Stil gedrehten Dokumentarfilm der kanadisch-jüdisch-chinesischen Regisseurin Charly Wai Feldman. Über vier Jahre zeigt der Film, wie Sara auf großen Events wie TEDxLondon und im Fernsehen über ihre Erfahrungen als Aktivistin auf Lesbos berichtet, sowie davon, wie sie gemeinsam mit ihrem Freund Seán verhaftet und auf Kaution aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ihnen drohen wegen des Vorwurfs der vermeintlichen „Förderung illegaler Migration“ 25 Jahre Haft.

Bei der Bambi-Gala 2016 erhalten Sara und Yusra den Preis als „Stille Helden“ und erzählen bei einer Veranstaltung in Jordanien als Duo ihre Geschichte. Ansonsten haben sich ihre Wege weitgehend getrennt. Yusra schwimmt weiterhin professionell und wird als jüngste UNHCR-Botschafterin aller Zeiten durch Barack Obama geehrt. Sara hingegen schließt sich, noch während sie auf ihren Prozess in Griechenland wartet, Sea-Watch an. Der Film kontrastiert somit legale, institutionalisierte Formen der Geflüchtetenhilfe und der Kriminalisierung der privaten Seenotrettung. Letztere geschieht, wie im Fall von Sara und Seán, oft trotz fehlender Beweise.

Sara kämpft in diesem einfühlsamen, nuancierten und investigativen Dokumentarfilm nicht nur für ihre Unschuld, sondern auch für ihre mentale Gesundheit und ihren Platz in der Welt. Der Kampf für die Anerkennung der Menschenrechte von Geflüchteten ist und bleibt Saras Kompass: Niemand könne sie aufhalten und zum Schweigen bringen. Das Schwimmen, ihre Freund*innen und Anwält*innen, die Musik und das Tanzen geben ihr dabei Kraft.

„Sara Mardini - Gegen den Strom“ steht ebenso wie „Die Schwimmerinnen“ (2022) in intersektional feministischer, also auch antirassistischer, Solidarität mit Sara und Yusra und allen Geflüchteten. Die unbegrenzte Empathie der Regisseurinnen, die selber Migrationsbiographien haben, ist deutlich zu spüren. Sie idealisieren die jungen Frauen nicht, sondern zeigen ihre Stärken wie auch Schwächen, ihre Power und zugleich ihre Verletzbarkeit. Yusra und Sara haben komplexe und manchmal auch ambivalente Persönlichkeiten, was sie für das Publikum noch nahbarer und nachvollziehbarer macht. In beiden Filmen werden Grenzen in emanzipatorischer Weise überschritten und radikale Veränderungen angestoßen: vom globalen Süden nach Europa, von rassistischer Migrationspolitik zur Anwendung von Menschenrechten, von sexistischer Unterdrückung zu feministischer Selbstbestimmung und nicht zuletzt von diskriminierenden Stereotypen zu empowernden Gegenbildern.

Canan Turan


Übrigens: „Sara Mardini - Gegen den Strom“ und andere tolle Filme sind Teil des Themendossiers „Migration“. Werfen Sie doch mal einen Blick rein.

© mindjazz pictures
14+
Dokumentarfilm

Deutschland 2023, Regie: Charly Wai Feldman, Kinostart: 23.03.2023, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 89 Min., Buch: Charly Feldman, Kamera: Yassir Benchelah, Janis Brod, Shivani Hassard, Fynn Stoldt, Schnitt: Zamarin Wahdat, Musik: K River Records, Laurens von Oswald, Leopold Faerberboeck, Produktion: Docdays Productions Gmbh, Verleih: mindjazz pictures, Besetzung: Yusra Mardini, Sara Mardini, Seán Binder, Claudia Drost, Luca Bucken, Joelle Berge, Jan Hofer, Kai Albrecht, Enissa Amani, Zacharias Kesses

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